Was sind eigentlich Seiteneinsteiger in die Politik?

Kurzbeschreibung 

Eine prägnante Definition politischer Seiteneinsteiger und ihre Rolle im politischen System der Bundesrepublik.

Seiteneinsteiger im Allgemeinen

Zunächst: Was sind eigentlich Seiteneinsteiger? Seiteneinsteiger sind Menschen, die in einen Bereich auf eine Position wechseln, für die sie nach den Maßstäben dieses Bereichs eigentlich gar nicht qualifiziert sind. Jemand, der Lehrer wird, ohne Lehramtsstudium und Referendariat; ein Politiker, der zum Konzernvorstand wird; oder umgekehrt ein Manager, der Politiker wird. Seiteneinstiege sind daher oft zugleich Ausstiege (aus dem Herkunftsbereich).

Politische Seiteneinsteiger im Besonderen

Politische Seiteneinsteiger sind also eine spezielle Ausprägung des Seiteneinstiegs. Sie heben sich vom „normalen“ Politiker ab, indem sie sich nach einer Karriere außerhalb der Politik zu einem Einstieg in die Politik entschließen. Sie wechseln also von einem gesellschaftlichen, non-politischen Sektor wie zum Beispiel der freien Wirtschaft oder der Kultur in die professionelle Politik.

Die Ochsentour als Kontrastfolie zum politischen Quereinstieg

Das für die Bundesrepublik typische Karrieremuster ist das der „Ochsentour“. In einem Klima der Unwägbarkeiten schafft die Ochsentour ein gewisses Maß an Erwartungssicherheit, gewährleistet den ständigen Fluss von Nachwuchspersonal von niedrigen hinauf in die höheren Ämter. Sie trägt zur Reproduktion des politischen Personals bei, indem sie kontinuierliches Engagement innerhalb der Partei durch die Anwartschaft auf politische Positionen belohnt. Von der Partei zu vergebende Mandate und Ämter sind so etwas wie das politische Honorar für Parteiaktivisten, die Motivation zur Parteiarbeit. In der Politik, die im Unterschied zu vielen anderen Bereichen keine Zertifikate, keine formelle Ausbildung kennt, ist die Ochsentour ein Eignungsnachweis, politische Ämter ausüben zu können. Dieses Modell erfordert eine ganze Menge Geduld und Frustrationstoleranz – und ist deshalb für viele High Potentials ganz und gar unattraktiv.

Seiteneinstiege als politische Rekrutierungsmethode

Um dennoch gelegentlich Menschen für die Politik zu gewinnen, hat sich der politische Seiteneinstieg bewährt. Hier kann eine politische Spitzenposition angetreten werden, auch ohne politische Erfahrung und ohne den pseudo-formalen Nachweis der Ochsentour.

Seiteneinsteiger sind also zuallererst Menschen, die keine Ochsentour absolviert haben. Dies schließt eine – selbst jahrzehntelange – Parteimitgliedschaft allerdings nicht aus. Solange sie nicht mit politischem Engagement einherging. Um als politischer Seiteneinsteiger zu gelten, darf man nicht die üblichen Karriereschritte bis zu der Position des Seiteneinstiegs gemacht haben.

Darin liegt auch ein gravierendes Problem begründet, auf das Seiteneinsteiger in die Politik häufig stoßen: der fehlende „Stallgeruch“. Politische Seiteneinsteiger überspringen die üblichen Stufen, die normalerweise zu ihrer neuen Position führen, und erhalten etwas – Einfluss, Macht, Status –, wonach andere jahre- oder jahrzehntelang streben. Wie gesagt: Gerade aus diesem Grund eignet sich der politische Seiteneinstieg dazu, Menschen in die Politik zu holen, die dort sonst niemals hineingelangen würden.

Politische Seiteneinstiege können passiv und aktiv erfolgen. In der einen Variante werden die Seiteneinsteiger von Politikern kooptiert – sie sind dann Protegés eines Mentors und Förderers, der ihnen seine Macht „leiht“ und ihnen zu einer normalerweise für sie unzugänglichen Position verhilft. In der anderen Variante drängen politische Seiteneinsteiger von selbst auf vergleichsweise hohe Ebenen der Politik und mobilisieren, zum Beispiel durch die Gunst der Stunde, vorübergehend so große Autorität, dass sie aus eigener Kraft auf Positionen gelangen, die weit über ihrem politischen Erfahrungsstand liegen.

Politische Seiteneinsteiger sind oft auch Sehnsuchtsobjekte – nach Sachverstand und Lebenserfahrung in der Politik. Regelmäßig zeigen sich Journalist:innen von Quereinsteigern fasziniert; nicht selten gelten sie als Heilsbringer und Hoffnungsträger, die den ermatteten politischen Betrieb auffrischen und bereichern sollen. Mit politischen Seiteneinsteigern verbinden sich jedenfalls häufig genug Vorstellungen von überlegener Fachkompetenz und dringend benötigter Innovationskraft.

Seiteneinsteiger. Unkonventionelle Politiker-Karrieren in der Parteiendemokratie

Der Band untersucht am Beispiel von 23 politischen Karrieren den Erfolg und Misserfolg von Seiteneinsteigern in der Geschichte der Bundesrepublik.