Zur politischen Karriere von Julia Klöckner (CDU)

Kurzbeschreibung 

Der CDU-Politikerin Julia Klöckner gelang ein erstaunlicher Aufstieg. Die Vehikel dazu waren ein entkräfteter und entmutigter Landesverband und Politiker, von denen sie sich deutlich abheben konnte.

Porträtaufnahme von Julia Klöckner vor dunklem Hintergrund mit seitlichem Blick nach oben.

Karriere

Rückblickend lässt sich natürlich mit Leichtigkeit behaupten, dass man 2005 Julia Klöckners Aufstieg in der Politik geradezu riechen konnte. Aber wenn man sich Presseporträts über sie aus jenem Jahr anschaut, finden sich doch deutlich mehr Indizien als bei anderen Politikern.

Die im Dezember 1972 geborene Christdemokratin hatte da gerade drei Jahre im Bundestag hinter sich gebracht und bereitete anlässlich des um ein Jahr vorgezogenen Urnengangs ihre Wiederwahl vor. Als junge Frau inmitten einer überalterten Partei fiel sie den Journalisten auf; doch als politisch noch weitgehend unbeschriebenes Blatt standen bei den damaligen Beobachtungen überwiegend äußerliche Merkmale im Vordergrund, zumeist wie sie „leuchtend blond, in karmesinrotem Kostüm, mit hochhackigen Schuhen“[1] vor den über fünfzigjährigen CDU-Männern ans Mikrofon trat – stets akkurat frisiert, mit modischem Bedacht gekleidet. Dieser rein ästhetische Kontrast genügte bereits, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Hinzu kam, dass Klöckner eine von politischen Rückschlägen geschundene Truppe mit ungewohnter Frische und Ambition konfrontierte.

Doch die Zeiten, in denen Klöckners Name lediglich einer von unzähligen wenig bekannten auf den Myriaden von Wahlzetteln war, sind vorbei. Inzwischen gehört Julia Klöckner zur erlauchten Riege deutscher Spitzenpolitikerinnen: Sie führt die CDU-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz, ist Landes- und stellvertretende Bundesvorsitzende. Wofür andere Jahrzehnte politischer Arbeit benötigen, das ist ihr in wenigen Jahren gelungen. Trotz der Frauenquote und der bisweilen privilegierten Behandlung von jungen Talenten in den deutschen Parteien ist das eine erklärungsbedürftige Entwicklung.

Heimatverbundenheit und Weltbürgerlichkeit

Einiges an Klöckner erinnert an Helmut Kohl. Wie der „schwarze Riese“ ist auch Klöckner in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat tief verwurzelt: Die katholische Winzertochter mag die dortigen Gepflogenheiten und Traditionen, freut sich auf Grillabende mit ihrer Familie im Guldental und fremdelt nicht mit der Bevölkerung des Bundeslandes, das aus Berliner Hauptstadtperspektive kaum noch mehr Provinz sein könnte.

Zu diesem kulturellen Umfeld passt Klöckners biografische Bindung an die Region perfekt. In der Landeshauptstadt Mainz studierte sie Theologie, Politikwissenschaft und Pädagogik, machte ihren Magisterabschluss; und wie einst Helmut Kohl schrieb sie ihre universitäre Abschlussarbeit über ein heimatliches Thema, die „Struktur und Entwicklung der europäischen Weinbaupolitik“; in jungen Jahren amtierte sie zudem als „Deutsche Weinkönigin“ und war Freie Mitarbeiterin beim Südwestdeutschen Rundfunk, auch Chefredakteurin des Sommeliere Magazins.

Sprachlich gibt sie sich ebenfalls als Rheinländerin zu erkennen – sowohl in der Dialekt-gefärbten Aussprache wie auch mit Formulierungen à la: „Man muss die Leute mögen“[2] oder der Forderung nach „Freiheit für die Bürger“[3]. Zumindest weiß sie, dass sich viele Wähler – früher in Kohls Reden stets die „Menschen draußen im Lande“ – nicht mit Auszügen aus dem Parteiprogramm, sondern durch sympathische und glaubwürdige Auftritte gewinnen lassen.[4] Vom Kartoffelbauern bis zum Winzer kommt sie mit allen klar. Jedenfalls signalisiert sie überall, wo sie auftaucht: Seht her, ich bin eine in der Wolle gefärbte Pfälzerin; und: Nein, ich bin keine dieser entrückten Politfiguren aus dem Berliner Regierungsviertel.

Zugleich gelingt ihr aber die stilistische Gratwanderung – und darin unterscheidet sie sich wiederum von Kohl –, bei all diesem Heimatbezug nicht als provinziell abgewertet zu werden. Stattdessen wirkt sie modern und aufgeschlossen, dank ihrer Teleginität macht sie eine gute Figur in Fernseh-Talkshows, außerdem ist sie als leidenschaftliche Nutzerin des Social-Media-Diensts Twitter bekannt. Auf diese Weise kann sie gleichermaßen als verständnisvolle und glaubwürdige Regionalpolitikerin wie auch als kosmopolitische Staatsfrau auftreten. In beiden Sphären bewegt sie sich souverän: Im bodenständigen Mainz und im hektisch-weltoffenen Berlin. Diese Gratwanderung ist noch nicht jedem geglückt.

Die Gunst der Stunde

Heute zählt Julia Klöckner zu den vielversprechendsten Nachwuchshoffnungen der Christdemokraten. Fast zwanzig Jahre jünger als Angela Merkel und 14 Jahre jünger als Ursula v.d. Leyen könnte sie noch einige Legislaturperioden abwarten, ehe sie unter zeitlichen Zugzwang geriete. Doch anfangs strebte sie gar keine Karriere in der Politik an. Zur Jungen Union ging sie 1996 – Kohl sollte da noch ganze zwei Jahre lang Kanzler sein – nach eigener Aussage wegen der ausgelassenen Partys. Als sie im selben Jahr in die CDU eintrat, war sie bereits 23 Jahre alt und hatte, im Unterschied zu vielen Gleichaltrigen in der Partei, noch keinerlei Erfahrung mit Parteiversammlungen und Plenumsscharmützeln gemacht.

Und ihre Motivation, daran etwas zu ändern, hielt sich zunächst in Grenzen. Klöckner brachte ihr Studium zu Ende und absolvierte im Rahmen eines Volontariats eine journalistische Ausbildung, ferner arbeitete sie bis 1998 als Religionslehrerin in einer Grundschule. Eines Tages überredete sie Prinz Michael zu Salm-Salm, der 1994 und 1998 für die CDU zweimal vergeblich im Wahlkreis Kreuznach als Direktkandidat angetreten war, in dem sozialdemokratisch dominierten Gebiet zu kandidieren.[5] Denn vielleicht, so seine Überlegung, könnte ja eine junge Frau endlich die Wende herbeiführen.

Prompt verschafften Klöckners Förderer der Auserkorenen einen aussichtsreichen Listenplatz, der sie 2002 in den Bundestag beförderte. In den beiden darauffolgenden Wahlen holte sie dann in ihrem Wahlkreis tatsächlich das begehrte Direktmandat. Kurzum: Die Politiknovizin Klöckner gelangte in das höchste deutsche Parlament als Protegé routinierter Parteifreunde, mit geliehener Macht also.

In Berlin mauserte sich die faktische Seiteneinsteigerin dann binnen zweier Legislaturperioden zu einer schlagfertigen Profi-Politikerin. Dabei half ihr der Umstand, dass sie durch ihre vorpolitische Tätigkeit über politiktaugliche Qualifikationen verfügte: Denn als Journalistin hatte sie lehrreiche Einblicke in die Mechanismen der Massenmedien erhalten; und als Deutsche Weinkönigin hatte sie gelernt, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, und sich so etwas wie diplomatisches Geschick angeeignet.

Auch anschließend profitierte Klöckner von günstigen Gelegenheiten. Dass sie etwa parallel zu ihrer Abgeordnetenkarriere in der Hauptstadt auch in der rheinland-pfälzischen CDU vorankam, verdankte sich zunächst einer verfestigten Parteikrise. Schon als sie in die Politik einstieg, lag die CDU zwischen Friesenhagen und Pirmasens seit Jahren am Boden. Wahl für Wahl triumphierten seit 1991 die Sozialdemokraten, erst unter Rudolf Scharping, dann unter Kurt Beck. Der letzte starke Mann der Christdemokraten war Christoph Böhr, aber nach einer Serie von Wahlniederlagen, welche die Partei an den Rand der Dreißig-Prozentmarke gebracht hatten, musste auch er sich 2006 zurückziehen. Klöckner hatte der SPD also viel zu verdanken, durch deren Stärke und die gleichzeitige Schwäche der CDU hatten sich etliche Spitzenleute ihres Landesverbands verschlissen.

In dieser chronischen Verlierer-Organisation hatte es Klöckner nicht sonderlich schwer, als ambitionierte Nachwuchspolitikerin in die Rolle der Hoffnungsträgerin zu schlüpfen und schnurstracks an die Spitze des Landesverbands aufzurücken.[6] 2006 kam sie als stellvertretende Vorsitzende in den Landesvorstand, Ende 2009 ließ sie sich zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2011 küren. Sind solche Positionen normalerweise stark umkämpft, konnte Klöckner vergleichsweise mühelos an die Spitze treten – denn die frustrierte Partei empfing ihre Kandidaturabsicht mit Freuden.

Die Erfolglosigkeit dauerte nun einfach schon zu lange an, als dass man jetzt nicht endlich ein Experiment wagen müsste. Vielleicht, so dachten vermutlich nicht wenige leidgeprüfte, bisweilen feministisch unbedarfte Unionisten in und um Mainz, würde man mit dem unverbrauchten, hübschen Blondschopf voller Tatendrang, der sich inzwischen auch noch in Berlin als Parlamentarische Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium einen Namen gemacht hatte, ja doch endlich einmal eine realistische Chance bei der Jagd auf das Ministerpräsidentenamt haben.

Zwar entpuppte sich auch Klöckner nicht als Wunderheilerin, aber ihre Wahlniederlage war trotz allem ein Erfolg: Unter ihr stieg der Zweitstimmenanteil der Union um 2,4 Prozent, v.a. aber verkürzte sich der Abstand zur zuvor enteilten SPD auf nur noch ein halbes Prozent und einen Parlamentssitz. Im Grunde genommen wirkte der formale Wahlsieger Beck nun sogar als Verlierer: Der bis dahin alleinregierende Ministerpräsident musste sich zur Unterstützung die Grünen als Koalitionspartner an die Seite holen und stand obendrein im Schatten seines spektakulären Wahlsiegs vor fünf Jahren (ein Beispiel, wie sich manchmal zeitversetzt ein politischer Triumph in eine Last wandelt).

Klöckner bekundete unterdessen mit einer wirkungsvollen Geste ihren Respekt gegenüber dem heimatlichen Landesverband der CDU, indem sie ihre Position als Staatssekretärin und ihr Bundestagsmandat abgab und in den Mainzer Landtag wechselte, statt ihren Parteifreunden vom fernen Berlin aus mehr oder minder engagiert beizustehen (ein Fehler, den Norbert Röttgen 2012 beging). Dort wählte sie die CDU-Fraktion dann einstimmig zur Fraktionsvorsitzenden. Die politische Rollenverteilung in Mainz hatte sich inzwischen zu Klöckners Gunsten entwickelt: Sie firmierte als ebenso frische wie angriffslustige Oppositionsführerin, wohingegen der angeschlagene Beck immer mehr zum Regierungschef auf Abruf verkam.

Klöckner passte zwischen 2006 und 2011 einfach perfekt in die politische Situation der Mainzer Landespolitik: Presseartikel schrieben ihr sogleich ausschließlich solche Attribute zu, wie sie sich jede Partei nur wünschen kann und keine Ausbildungsstätte sie jemals besser hervorbringen könnte: jung, weiblich, schön, dynamisch, heimatverbunden, redegewandt, energiegeladen.[7] Das jagte den sozialdemokratischen Wahlkampfplanern in der Tat Angst ein. Denn plötzlich wartete die notorisch zerstrittene und glücklose CDU mit einer vorzeigbaren, beschlagenen Kandidatin auf, die sowohl parteiintern als auch in der Bevölkerung beliebt war und jeden Wahlkampf unversehens zu einem Zweikampf zwischen Mann und Frau, Jung und Alt machte.

So ließ sich ein für die Union vorteilhaftes Bild kreieren: Auf der einen Seite Beck, der in den vielen Jahren seiner Machtausübung das Bundesland zu „Rheinland-Filz“ gemacht zu haben schien; und auf der anderen Seite Klöckner, die auftrumpfende Herausforderin, die mit ihrer zupackenden Art und einer politisch unbelasteten Vergangenheit einen ordentlichen Frühjahrsputz in der Mainzer Staatskanzlei verhieß. Und Klöckner traf die richtigen Entscheidungen, nahm die Herausforderung an, statt sich in Berlin zu verbergen, machte keine Fehler.

Doch genau darin liegt vielleicht auch die Schwachstelle der Substanz ihrer politischen Karriere. Für ihren Weg in die Spitzenpolitik musste sie weniger hart als andere kämpfen, zumeist geriet sie mit relativ wenig eigenem Zutun in vorteilhafte Situationen. Natürlich: Klöckner musste für ihre politische Karriere hart arbeiten, musste an ihrem öffentlichen Erscheinungsbild feilen und den Druck des Medieninteresses aushalten. Doch das gilt für die meisten anderen Spitzenpolitiker auch. Ihren Weg in den Bundestag musste sich Klöckner nicht gegen harte Widerstände erkämpfen, sondern sie wurde gebeten; die Spitzenkandidatur musste sie keinem ehrgeizigen Konkurrenten entreißen, sondern sie wurde ihr von einem desaströs aufgestellten Landesverband angetragen. Der Amtsinhaber, gegen den sie antrat, war eine alles andere als charismatische Figur, an der sich die Menschen nach 15 Jahren sattgesehen hatten und der sie mit wachsenden Zweifeln die Zukunft ihres Bundeslandes anvertrauen wollten.

Sicher: Julia Klöckner hätte ja auch nichts anders machen können. Aber dadurch, dass Klöckner an den archimedischen Punkten ihrer politischen Laufbahn stets von einem enorm vorteilhaften Umfeld profitiert hat, fehlt ihr nun die Erfahrung mit Momenten, in denen die Gunst der Stunde nicht ihr, sondern ihren Gegnern und Konkurrenten zuteilwird.

Fazit

Julia Klöckner begann ihre politische Karriere mit viel Glück, einflussreichen Förderern und der Frauenquote, dank derer sie in einem frühen Stadium ihrer Politlaufbahn in den Bundestag gelangte. Dort eignete sie sich mit viel Fleiß und großem Durchhaltevermögen elementare Kenntnisse des professionellen Politikbetriebs an; hierbei profitierte sie von ihren vorherigen Jobs als Deutsche Weinkönigin und Journalistin, in denen politikdienliche Qualifikationen gefragt waren.

Anschließend nutzte sie die Chance einer akuten Parteikrise in ihrem Heimatlandesverband Rheinland-Pfalz für einen schnellen Aufstieg in den Parteigremien. Dank ihrer vorteilhaften Attribute – jung, weiblich, modern –, ihrer glaubwürdigen Heimatverbundenheit und ihrer skandalfreien Vergangenheit avancierte sie in einem völlig frustrierten Umfeld zur Hoffnungsträgerin; sowohl ihr innerparteilicher Vorgänger Böhr als auch ihr sozialdemokratischer Konkurrent Beck bildeten für sie eine hervorragende Kontrastfolie. Bei der Landtagswahl unterschritt sie die Erwartungen nicht, indem sie den Abstand zur nach wie vor regierenden SPD beträchtlich reduzierte und sich anschließend als schlagfertige Oppositionsführerin profilierte.

Prognose

Klöckner ist momentan in ihren Ämtern und Funktionen unumstritten. Gelingt ihr allerdings in absehbarer Zeit kein Durchbruch – etwa in Form der Ministerpräsidentschaft –, droht ihr das Ute-Vogt-Syndrom: vom Symbol einer verheißungsvollen Zukunft wie die einstige Hoffnungsträgerin der Südwest-SPD nach vergeblichen Kandidaturen zum Überbleibsel einer ruhmlosen Vergangenheit herabzusinken. Mit der neuen Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat die SPD zudem eine Amtsinhaberin positioniert, die im Unterschied zu ihrem Vorgänger Beck dank ähnlicher Merkmale keine Kontrastfigur mehr zur Herausforderin Klöckner ist. Freilich droht Dreyers anfänglich positives Image durch die fortdauernden politischen Debakel der Beck-Ära ramponiert zu werden. Wieder einmal ist die politische Situation für Klöckner günstig.

Anmerkungen

[1] Burger, Jörg: Die Kandidatin, in: Die Zeit, 15.09.2005.

[2] Klöckner zitiert nach Wilke, Katja: Weinkönigin mit Werten, in: Rheinischer Merkur, 28.10.2010.

[3] Klöckner zitiert nach Kirschstein, Gisela: Eine Herausforderin für Kurt Beck, in: Die Welt, 14.04.2010.

[4] Vgl. Kirschstein, Gisela: Eine Herausforderin für Kurt Beck, in: Die Welt, 14.04.2010.

[5] Vgl. Holl, Thomas: Eine Frau mit Zukunft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.03.2011.

[6] Vgl. Mück-Raab, Marion: „Ich stehe für eine Politik ohne Bart“, in: Der Tagesspiegel, 28.12.2010; Hildebrandt, Tina/Niejahr, Elisabeth: Zur Frau gemacht, in: Die Zeit, 03.02.2011.

[7] Vgl. Wallet, Norbert: Schlagfertig und volkstümlich, in: Stuttgarter Nachrichten, 17.04.2010.